Dienstag, 14.08.2018

Schulbesuch, Tondis Zuhause und eine Höhle

Es gefällt uns gut hier in Bukit Lawang. Wir haben keine Eile. Während viele andere maximal drei Tage hier sind: Ankommen, 1 bis 2 Tage Orang Utans, Abreise, nehmen wir uns die Zeit, auch das Dorf mit seinen verschiedenen Seiten ein bisschen kennenzulernen.

Heute müssen wir für unsere Verhältnisse früh aufstehen, 8.00 Uhr. Wir haben vor, mit Tondi, den wir inzwischen schon ein bisschen lieb gewonnen haben, die örtliche Grundschule zu besuchen. Nach Durchquerung des besiedelten Teils laufen wir ca. 2 km durch die bereits erwähnten Palmölplantagen. Dabei fällt auf, dass diese - wenn man direkt davor steht - nicht unmittelbar als verheerende Kultivierungs- und Profitmaximierungsuntat zu erkennen sind. Es sprießt auch hier mit unbändiger Kraft aus dem Unterholz, kleine Rinderherden leben von dem üppigen Gras dazwischen. Erst beim genaueren Hinsehen und bei erhöhtem Standort fällt auf: alles in Reih und Glied, die großen Pflanzen alle gleich. Im direkten Kontakt also anders als vorgestellt, trotzdem nicht weniger katastrophal für die Umwelt

Es ist heiß, mal wieder läuft keiner zu Fuß außer uns. Motorräder dröhnen hupend an uns vorbei. Bei der Ankunft in der Schule frage ich nach einer Toilette für Frauen. Falsche Frage: Tondi erklärt uns, dass Kinder und Lehrer zum nahegelegenen Bach gehen. Ich entscheide mich kurzerhand das umliegende Grün zu nutzen.

Es gibt ca. 6 Klassenräume in der Schule, ausgestattet mit einfachen Holztischen und -stühlen sowie einer alten Kreidetafel.
Als wir ankommen, befinden sich die Kinder, die übrigens alle eine Schuluniform tragen, in ihren Räumen und es wird nicht ganz klar, was sie dort machen. Ob sie gerade Pause haben, fragen wir. Nein, sie müssten Aufgaben machen, so die Antwort. Wir gehen in drei unterschiedliche Klassen, wobei die Kinder in den höheren Klassen mit jeweils nur 5-6 Schüler*innen ganz freundlich sind, aber sehr schüchtern. Ganz anders in der Klasse mit den 8jāhrigen, hier sind alle ganz aufgeregt als wir kommen. Peter schreibt seinen Namen an die Tafel und fordert die Kinder auf, auch ihren zu schreiben. Die Jungs bejubeln jeden Anschrieb und Peters Versuche, den Namen richtig auszusprechen, jeweils mit einem "Give Five".

Als wir in die Mathebücher der Schüler schauen, wundern wir uns über die für diese Altersgruppe recht anspruchsvollen Aufgaben: (6x17) + (4x17) = (6+4) x 17 = 10x17 = 170

Wir werden herzlich verabschiedet und bedauern es, dass wir nicht wenigstens ein paar Radiergummis für die Kinder mitgebracht haben. Diese fehlen, als Peter die von ihm mit Bleistift in's Heft eingetragenen Lösungen wieder entfernen will - wer kann das ahnen? So bleibt uns nur die Möglichkeit ein bisschen Geld für die Schule zu spenden (und die Lösungen stehen zu lassen). 

Anschließend laufen wir noch mal ein paar Kilometer zu Tondis Dorf. Wir lernen seine Eltern kennen, die in einem zusammengezimmerten "Häuschen" mit hier und da fehlenden Brettern und Steinfußboden leben. In einem Zimmer befinden sich eine kleine Holz-Kochstelle und eine Art Brunnen. Ich staune darüber, dass es einen relativ großen Kühlschrank gibt, in dem sich jedoch außer ein paar Limonen nichts befindet. Die Toilette ist ein Loch im Boden, das nach Gebrauch mit Hilfe eines Gefäßes mit Wasser gespült wird. Im Eingangsbereich hängen ein paar Familienfotos an der Wand. Wir sitzen auf Plastikstühlen, die Eltern wollen unbedingt auf dem Fußboden bleiben. Wir erfahren, dass Tondis Mutter 58, sein Vater 60 Jahre alt ist. Beiden fehlen etliche Zähne, der Vater ist schwerhörig. Es fāllt uns schwer, einfach so freundlich zusammen zu sitzen, tut uns doch eigentlich die ganze Situation innerlich weh.
Tondi zeigt uns ein Fotobuch. Wieder staunen wir, denn dieses Buch ist von der deutschen Ex-Freundin seines älteren Bruders. Sehr liebevoll wird darin beschrieben und bebildert, wie die beiden sich kennengelernt und verliebt und was sie bei ihren Besuchen zusammen auf Sumatra in dem einen Jahr der Beziehung unternommen haben. Warum die beiden kein Paar mehr sind, können wir nur erahnen.
Tondi erzählt uns, dass er mit seinen Geschwistern dafür verantwortlich ist, seine Eltern zu versorgen. Sie können schon jetzt ihren Lebensunterhalt nicht mehr selber bestreiten. Deshalb gibt er jeden Cent an sie ab, den er verdient. Kost und Logis werden ihm vom Arbeitgeber gestellt, außer seinem Smartphone besitzt er weiter nichts. Während des Gesprächs bittet uns Tondis Mutter mehrere Male, ihren Sohn nach Deutschland mitzunehmen. Wir versuchen mit Tondis Übersetzungshilfe ein bisschen zu erklären, dass das nicht so einfach geht und es viele Hürden und Ausschlusskriterien gibt, wenn Menschen, die in Indonesien in großer Armut leben, in Deutschland für ihre Verhältnisse viel Geld verdienen möchten. Schwierige Situation ... Mir kommt zwischendurch schon der Gedanke, Tondi einfach mal für ein paar Wochen nach Deutschland einzuladen. Viele "aber" schließen sich an. Würden wir die nötige Kraft und Zeit aufbringen, sein  gewohntes soziales und kulturelles Umfeld in der so anders gearteten Umgebung bei uns auszugleichen? Welche Möglichkeiten können wir organisieren, dass er (womit?) ein bisschen Geld verdienen kann?

Nach der Rückkehr zum Fluss geben wir Tondi etwas Geld für seine Tätigkeit als unser Guide. Er selbst wird nichts davon haben ...

Wir sind etwas angeschlagen und ruhen uns ein bisschen aus. Um 17.00 Uhr brechen wir zur nahegelegenen Fledermaushöhle auf. Mehrere Einheimische raten uns ab, es sei zu spät. Wir wissen es wieder mal "besser" und erreichen über ein von der verantwortlichen Holländerin wunderschön gestaltetes Waisenhaus, in dem Kinder nach der großen Sturzflut 2003 ein neues Zuhause fanden,

die recht imposante Höhle. Gerade zu dieser Zeit machen sich viele Tiere auf den Weg nach draußen. Zum Glück treffen wir am Eingang noch einen Guide an, für den sich das Warten bis zum Einbruch der Dunkelheit nun doch gelohnt hat und ohne den wir niemals den richtigen Weg hinein und hinaus gefunden hätten.

Wir müssen ganz schön kraxeln um die verschiedenen Abschnitte der Höhle zu erreichen. Dabei sind weniger die Fledermäuse  als die zum Teil sehr engen  Gänge das Faszinierende an dieser Höhle. Als wir nach einer Stunde herauskommen, ist es draußen genauso stockdunkel wie drinnen. Die bereits erprobten Handytaschenlampen weisen uns nun auch den Weg nach Hause.